Dr. Michael Hermann
sotomo gmbh und Geographisches Institut der Universität Zürich
Die Wurzeln der Wahlgeographie reichen bis ins Jahr 1913 zurück. Der französische Geograph André Siegfried hatte damals mit seinem Werk «Tableau politique de la France de l’Ouest» den Zusammenhang zwischen Raum und Wahlverhalten erstmals systematisch untersucht. Eine eigentliche Blütezeit erlebte die Wahlgeographie in der goldenen Ära der quantitativen Geographie in Grossbritannien. Danach ist die Disziplin jedoch ausser Mode gekommen. Heute erlebt sie eine Renaissance. Doch nicht etwa in der Geographie, sondern in der Politikwissenschaft.
Die sozialwissenschaftliche Geographie hat in den vergangenen Jahrzehnten viel darauf gesetzt, den Raum zu dekonstruieren, während in den benachbarten sozialwissenschaftlichen Disziplinen ein «Spatial Turn» vollzogen und der Raum als wichtiger Faktor entdeckt wurde. So erstaunt es nicht, dass sich heute vor allem die Politologen für die räumliche Dimension des politischen Verhaltens interessieren.
Michael Hermann plädiert in seinem Referat für eine Wiederbelebung der Wahl- und Abstimmungsgeographie innerhalb der Geographie. Neben heute vorherrschenden Fokus auf die «kritische» und «radikale» Richtung der Politischen Geographie soll die quantitative Tradition wiederbelebt werden. Statt den Politikwissenschaftlern das Feld zu überlassen, gilt es, sich mit ihnen zu vernetzen.
In einem politisch-geographischen Netzwerk kann die geographische Perspektive gewichtige Impulse geben. Ganz zentral ist dabei die ur-geographische Kompetenz des Sichtbarmachen sozialer Phänomene mit der Sprache der Kartographie und die Methoden der geographischen Informationsvisualisierung. Wesentlich ist aber auch die Umkehr der Sichtweise: Während für Politologen der Raum bloss ein Werkzeug zur Erforschung des politischen Verhaltens ist, interessiert sich die Geographie für die räumliche Dimension politischer Mentalitäten.
Im Referat spürt Michael Hermann der Geschichte der Wahl- und Abstimmungsgeographie nach und zeigt wie das Zusammenspiel von Raum und Politik heute in den Politikwissenschaften untersucht wird und was die Geographie dazu beitragen kann. Er bringt dabei seine eigenen Erfahrungen im von ihm gelebten Netzwerk Geographie-Politik mit ein.