Transdisziplinäre Forschung in der Geographie
Transdisziplinäre Ansätze in Forschung und Lehre stehen momentan ganz oben auf der „Hitliste“ von Politikern und Studierenden. Doch was steckt eigentlich hinter diesem Begriff der „Transdisziplinarität“? Gibt es Unterschiede zwischen interdisziplinären und transdisziplinären Ansätzen ? Wie wurde und wie wird die transdisziplinäre Vorgehensweise in der Geographie verfolgt und aufgenommen ? Warum wurde das ursprünglich interdisziplinäre Studienfach Mensch-Gesellschaft-Umwelt der Universität Basel innerhalb von 10 Jahren auf Nachhaltigkeit und Transdisziplinarität ausgerichtet ? Welche Erfahrungen gibt es aus aktuellen transdisziplinären Projekten des Geographischen Instituts? Solchen und weiteren Fragen rund um die Transdisziplinarität geht die vorliegende Nummer der Regio Basiliensis nach.
Geographie und Transdisziplinarität - Fachwissenschaftliche Ansätze und ihr Standort heute
Hartmut Leser
Der Artikel stellt die Geographie als Fachgebiet mit einer integrativen Sichtweise vor, die Tradition hat und das Wesen des Fachbereichs Geographie ausmacht. Sie zielt auf das Erkennen komplexer Zusammenhänge im multifaktoriellen und multiprozessualen Mensch-Umwelt-System des Raumes (”Landschaft”) hin. Eine solche Betrachtungsweise bedient sich bei der praktischen Arbeit zahlreicher Methoden, nicht nur sogenannter ”geographischer”. Erst die Aggregation von verschiedenen (disziplinären) Einzelmethoden macht sie zur geographischen Methodik, also Vorgehensweise. Solch ein Ansatz und solch eine Vorgehensweise haben multi- bis transdisziplinären Charakter. Die Geographie fühlt sich daher von den aktuellen Diskussionen um Inter-, Multi- und Transdisziplinarität sehr verstanden. Deren Vorgehen lässt sich übrigens in der praktischen Arbeit - sei es in der Forschung, sei es in Projekten der Praxis - nicht von einander trennen. Inter-, Multi- und Transdisziplinarität kann man theoretisch nur bedingt definieren. Sie müssen ”gelebt”, also praktiziert werden, am besten durch die ”Begegnung am Problem”.
Das transdisziplinäre Forschungsprogramm ‚Mensch-Gesellschaft-Umwelt‘: Forschen, Finden, Bewegen
Paul Burger und Leo Jenni
Das Forschungsprogramm der Stiftung ‚Mensch-Gesellschaft-Umwelt‘ an der Universität Basel ist heute im Vergleich zu seinen Anfängen vor 10 Jahren auf Nachhaltigkeit und Transdisziplinarität als zentrale Kriterien ausgerichtet. Im ersten Teil des Beitrags wird die Weiterentwicklung des Programms von der Inter- zur Transdisziplinarität skizziert (1). Der zweite Teil entwickelt, inwiefern Transdisziplinarität auf gewisse Desiderate resp. Ansprüche der Gesellschaft antwortet und inwiefern sich daraus neue Aufgaben in der Wissensproduktion ergeben (2). Im abschliessenden Teil wird für eine Beurteilung der Leistungsfähigkeit transdisziplinärer Wissenschaftspraxen mit Augenmass plädiert (3).
Auenrevitalisierung in einer städtischen Grundwasserschutzzone - Probleme und Chancen transdisziplinärer Forschung.
Christoph Wüthrich und Urs Geissbühler
Im Basler Naherholungsgebiet “Langen Erlen” führen die zahlreichen Nutzungen verschiedener Akteure zu klassischen Zielkonflikten (Erholung, Forst, Landwirtschaft, Sportplätze, Familiengärten, Grundwassernutzung). Die Bewirtschaftung des künstlich angereicherten Grundwassers in der Ebene hat erfreulicherweise dazu geführt, dass heute dank der restriktiven Politik der Wasserversorger eine weitgehend unverbaute “grüne Lunge” nahe der Stadt inmitten eines dicht besiedelten städtischen Gebietes besteht. Aus naturschützerischer Sicht bedauerlich ist jedoch, dass die Wasserversorger seit vielen Jahren eine ablehnende Haltung gegenüber Revitalisierungsmassnahmen einnehmen, bei denen Oberflächenwasser (z.B. der Wiese, aber auch Wässergräben und Tümpel) mit dem Grundwasser in Austausch treten könnte. Vor dem Hintergrund einer potenziellen Verschmutzungsgefahr für das Grundwasser wurde die Wiederherstellung von standorttypischen Feuchtgebieten in der Ebene von den Wasserversorgern weitgehend verhindert. Um die von den Naturschutzverbänden geforderte Revitalisierung der Wiese-Ebene zu erreichen, müsste mehr Wasser zur Speisung von Feuchtgebieten und Wasserläufen zu Verfügung stehen. In einem transdisziplinären Projekt der Stiftung Mensch-Gesellschaft-Umwelt (MGU) der Universität Basel wird momentan die Machbarkeit einer Auenrevitalisierung unter Beibehaltung der heutigen Grundwasserqualität untersucht. In diesem Artikel wird der aktuelle Stand des Projektes zur Wiederherstellung von Feuchtgebieten unter der Verwendung von Wiesewasser kurz skizziert. Anschliessend werden die Probleme und Chancen dieses transdisziplinären Projektes aus der Sicht der Projektleitung dargestellt. Als Fazit wird festgehalten, dass durch solche Projekte neue Erkenntnisse für die Region gewonnen werden, die ohne die Beiträge der Hochschule verschlossen wären. Durch die intensivierte Kommunikation und Kooperation von Hochschule, Behörden und Bevölkerung entsteht in einem transdisziplinären Projekt ein Netzwerk von Kontakten, welches sich gerade auch in Krisensituationen auszahlen könnte. Für die Hochschulen und ihre Kunden (die Studierenden) ergeben sich aus der Beteiligung an transdisziplinären Projekten in mehrfacher Hinsicht Vorteile, wobei in erster Linie eine Vielzahl von Kontakten und die Möglichkeit einer praxisnahen Ausbildung zu nennen sind.
Kooperation und Partizipation im transdisziplinären Stellimatten-Projekt
Jessica. Kohl, Franz.L. Schmidli, Arnold. Gurtner-Zimmermann
In diesem Artikel werden die Richtplanung in der Wiese-Ebene und das Pilotprojekt Stellimatten bezüglich ihrer Beteiligungsformen in den theoretischen Kontext der transdisziplinären Umweltforschung eingebettet. Die Diskussion basiert dabei auf bestehenden Begriffskategorien, da die Unschärfe der Grundbegriffe Partizipation und Kooperation problematisch ist. Am Beispiel der Landschaftsplanung in der Wiese-Ebene wird aufgezeigt, wie mit der Änderung der Kooperationsformen auch das übergeordnete Akteursnetzwerk einer Veränderung unterliegen kann.
Der District des Trois Frontières im Nordwesten Basels – Denkanstösse zu einer integrativen Stadt- und Landschaftsentwicklung in einer „Zwischenstadt“
Rainer Volman und Martin Sandtner
Der District des Trois Frontières, auf französischem Staatsgebiet gelegen und Teil der Trinationalen Agglomeration Basel, war Untersuchungsgebiet eines geographischen Regionalpraktikums, dessen Ergebnisse hier zusammengefasst werden. Eine Analyse des Raumes ergab, dass einerseits nahe der Stadt Basel deutliche Züge einer „Zwischenstadt“ zu erkennen sind, andererseits noch grosse Freiräume mit wichtigen Klima-, Biotop- und Erholungsfunktionen bestehen. Aufbauend auf diese Grundlageninformationen wurden Vorschläge für eine integrative Stadt- und Landschaftsentwicklung entwickelt. Die Gesamtkonzeption sieht vor, in den bereits urban geprägten Gebieten eine offensive Angebotsplanung für Wohn- und Arbeitsnutzungen zu betreiben, um so auch den Siedlungsdruck auf die ländlichen Gemeinden zu verringern. Als Anschub sollen interdisziplinär angelegte Leitprojekte dienen, von denen einige vorgestellt werden.
Aspekte des Kulturlandschaftswandels des Hotzenwaldes seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert
Eine GIS-gestützte Auswertung historischer Karten der Banne Egg und Hornberg
Angelika Neudecker
Um den Landschaftswandel innerhalb der beiden im Hotzenwald gelegenen Banne Egg und Hornberg nachvollziehen zu können, wurden historische Karten mit aktuellen Karten auf relevante Änderungen in der Nutzung und der Ausdehnung der Infrastruktur verglichen. Ebenso wurden markante punktuelle Veränderungen der Landschaft herausgearbeitet. Die Visualisierung und die Analyse der Karten erfolgte mit Hilfe des Geographischen Informationssystems ArcView. Der Zeitraum der Betrachtung waren die letzten 120Jahre - von 1882 bis heute. Die Flächennutzung der Untersuchungsgebiete Egg und Hornberg zeigt über die letzten 120 Jahre hinweg ähnliche Entwicklungen: (1) eine Zunahme der Waldfläche seit 1882; (2) eine Abnahme der Ackerflächen besonders stark im Zeitraum 1938 bis 1998; (3) eine Abnahme der Wiesenflächen über den Zeitraum der letzten 120 Jahre; (4) eine Umgestaltung von Flächen seit 1938 in gewerbliche, verbuschte oder Siedlungsflächen. Ein Vergleich mit Zahlen für ganz Baden Württemberg zeigt, dass der Hotzenwald aufgrund seiner Mittelgebirgslage eine eigenständige Entwicklung aufweist.