Professor Dr. Heinz Veit
Geographisches Institut der Universität Bern
Das Amazonasgebiet ist bis heute voller Mystik. Mit den Spaniern kamen vor rund 500 Jahren auch Legenden über die ursprüngliche indianische Bevölkerung nach Europa, von den kriegerischen „Amazonen“ bis hin zum sagenhaften „El Dorado“. Francisco de Orellana, der 1541 n. Chr. den Amazonas auf seiner ganzen Länge vom Andenrand bis zur Mündung in den Atlantik befuhr, schätzte die damalige Bevölkerung auf 100 Millionen! Wäre die Existenz – und die Ernährung – so vieler Menschen überhaupt möglich? Spätestens seit dem Niedergang der grossen Plantagen in Brasilien in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wissen wir, dass tropische Böden für eine Intensiv- oder Dauerlandwirtschaft meist ungeeignet sind.
Mit dieser Erkenntnis, verbunden mit sehr spärlichen archäologischen Befunden, hat sich über Jahrzehnte ein anderes Bild der präkolumbischen Bevölkerung entwickelt. Demnach war das mit 7 Mio. km² grösste Flusseinzugsgebiet der Erde ursprünglich sehr dünn besiedelt. Im Unterschied zu den Hochkulturen in den Anden und in Mittelamerika (z.B. Inkas, Mayas, Azteken, Tiwanaku) schloss man für das Amazonasgebiet wegen der ungünstigen naturräumlichen Vorraussetzungen hohe Bevölkerungsdichten und agrarische Nutzung aus. Der Regenwald und die Savannengebiete waren nach dieser Vorstellung weitgehend vom Menschen unberührt, ein tropisches Paradies mit Jäger- und Sammlerkulturen, das seit der spanischen Kolonisierung bis heute ausgebeutet und zunehmend zerstört wird.
Aber auch dieses Bild des Amazonasgebietes gerät wieder ins Wanken. In den Regenwäldern und Savannengebieten werden immer häufiger merkwürdige Strukturen entdeckt. Es handelt sich allesamt um Erdbauten unterschiedlichster Formen. Sie sind von Menschen gemacht und gehören wohl alle in die Zeit vor Ankunft der Spanier. Meistens werden diese Strukturen bereits nach oberflächlicher Analyse hinsichtlich ihrer Nutzung vorschnell interpretiert und dann auch sehr spekulative Hochrechnungen über die ehemalige Bevölkerungsdichte gemacht. So kommen denn einige Wissenschaftler zu dem Schluss, der Amazonas sei vor 1000-2000 Jahren eine intensiv genutzte „Gartenlandschaft“ gewesen, mit sesshafter Lebensweise, agrarischer Landnutzung, komplexen, strukturierten Gesellschaften und hoher Bevölkerungsdichte. Damit ist dann letztlich die Frage und die Suche nach dem „indianischen Wissen“ verbunden, das eine nachhaltige Landnutzung und die Ernährung einer grossen Bevölkerung ermöglicht hätte. Im Hinblick auf die heutigen und zukünftigen Probleme im Amazonasgebiet bzw. hinsichtlich der Landnutzung in tropischen Gebieten ist dies natürlich generell eine äusserst spannende und aktuelle Frage.
Im Vortrag wird der geoarchäologische Kenntnisstand und der Spannungsbogen zwischen präkolumbischen „Gartenlandschaften“ und „unberührter Natur“ aufgrund erster Ergebnisse unseres seit
2009 vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Projektes im bolivianischen Amazonasgebiet diskutiert. Dabei scheinen Umweltveränderungen der letzten Jahrtausende keine unbedeutende Rolle gespielt zu haben. Auf diese Mensch-Umwelt-Beziehungen wird im Vortrag eingegangen.