Professor Dr. Wilfried Haeberli
Geographisches Institut der Universität Zürich
Die Umweltgeschichte der Schweiz spiegelt einen gelegentlich eher dornenvollen Weg vom Schutz des Lebensraums über das Prinzip der nachhaltigen Ressourcen-Bewirtschaftung zu weltweit koordinierten Anstrengungen für die kommenden Jahrzehnte. Die Lebensraum-Elemente „Berg“, „Wald“, „Wasser“
und „Stadt“ haben dabei die Auseinandersetzung mit Umweltproblemen und Naturgefahren besonders stark geprägt. Geradezu exemplarisch spiegeln die wiederholten Walddebatten eine Entwicklung von der bedenkenlosen Ausbeutung natürlicher Ressourcen über den romantischen Schutz landschaftlicher
Schönheit zur Bewahrung ökologisch wichtiger Funktionen und zu internationalen Umweltkonventionen. Der Vortrag geht in diesem Zusammenhang auf den bisher in der einschlägigen Literatur noch kaum behandelten Aspekt der Gletscher ein.
Zur Zeit der Walddebatte im 18. Jahrhundert standen ästhetische Perspektiven im Vordergrund: schön und nützlich sollte die Natur für die Schweiz des Haller’schen „Alpenmythos“ sein. Der für den Tourismus soeben entdeckte „ewige Firn“ der Gletscher wurde zu einem starken und intensiv kapitalisierten Symbol einer intakten Beziehung zwischen Mensch und Umwelt.
Ein funktionales Naturverständnis prägte die Walddebatte im 19. Jahrhundert. Die Entdeckung der Eiszeiten und die fundamentalen Auseinandersetzungen mit der christlichen Schöpfungsidee hatten mitgeholfen, das Bewusstsein für Zusammenhänge in der Natur und die Eigenverantwortlichkeit des Menschen zu stärken.
Mit der „Anbauschlacht“ im 2. Weltkrieg und dem „Waldsterben“ im Zusammenhang mit der stark ansteigenden globalen Luftverschmutzung der Nachkriegszeit wurde im 20. Jahrhundert die zunehmend internationale Dimension sichtbar. Der massive Gletscherschwund als „unique demonstration object“ für
den Klimawandel trat aber erst gegen die Jahrtausendwende voll ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.
Die Wald-, Gletscher- und Umweltdebatten im 21. Jahrhundert werden wahrscheinlich besonders hinsichtlich schwindender Freiheitsgrade für Entscheidungen bei beschleunigender Entwicklung, zunehmender Komplexität des Risikomanagements, knapper werdender Ressourcen und ernster Aspekte der Irreparabilität geführt werden müssen.